Berlinzulage
Acht Prozent obendrauf! Das war die Zulage, die jeder in West-Berlin arbeitende Mensch zusätzlich zum Bruttogehalt steuerfrei erhielt. Selbstständige konnten sich gar über eine 20 bis 25-prozentige Förderung bei Investitionen in Gebäude und Maschinen freuen. Mit diesen Zuschüssen versuchte der Staat, die „natürliche“ Abflussbewegung von Produktionsmitteln und Arbeitskräften aus der eingemauerten Stadt einzudämmen. Man wollte die schrumpfende Wirtschaft der Frontstadt ankurbeln und das hasenfüßige Kapital anlocken, das sich mehr als die Menschen vor der Umklammerung durch den Systemfeind im Osten fürchtete.
Ob der Zustrom aus der gewünschten Richtung erfolgte? Im Prielwasser des sich im Rückzug befindlichen Kapitalismus waren es eher unangepasste Charaktere, die angespült wurden. Und gerade Künstlerinnen und Künstler wussten die in der Baisse offen zutage liegenden Leerräume und Freiheiten für sich zu nutzen. So bezeichnet die Berlinzulage sehr treffend, was sich im Rückblick zur Lage in Berlin assoziieren und als Mehrwert begreifen lässt.
Das Ausstellungsprojekt Berlinzulage will jenen künstlerischen Strategien und Tendenzen nachspüren, die sich damals im marktfernen Raum mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit realisieren ließen. Sie führten zu einer enormen Weitung des Kunstbegriffs, was sowohl die Orte als auch die beteiligten Personen betraf, die Theorie und die Praxis, das Konzeptuelle und den Underground und nicht zuletzt die Materialwahl. Mit Treffsicherheit stießen Kunstschaffende in die Absurdität ihrer Umgebung vor, eröffneten neue Spielfelder, eroberten Brachen und dehnten den Begriff vom öffentlichen Raum. Das konnte gelingen, weil die damaligen Akteure weder unter starkem finanziellem Druck noch unter übersteigertem Professionalisierungszwang standen. Eine Welt, die vielleicht gerade für heute, nach dem Siegeszug des globalisierten Kapitalismus, einige Denkanstöße parat hält.
Anne Peschken und Marek Pisarsky
>> Zur Ausstellungskritik SZ Feuilleton vom 28.8. 2018
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